Übung: Feuerwehr rettet Demenzpatienten
17.07.2018
Der Notruf kommt um 20.01 Uhr: Brand in der Demenzpflege Riedlingen. Wenige Minuten später sind Blaulichter um das Gebäude in der Rösslegasse/Pfaffengasse zu sehen. Einige Patienten und Bewohner sind bereits ins Freie gebracht, andere befinden sich noch im Gebäude. Die Menschenrettung und Brandbekämpfung ist bereits im vollem Gange. Und dann plötzlich ist wieder einer der Bewohner zurück ins Haus, in die Gefahr gegangen. Eine ungewöhnliche, aber nicht unrealistische Situation. Eine Situation, die mit diesem Szenario am Dienstagabend geübt werden sollte. Es war die erste Übung dieser Art mit Demenzpatienten.
Menschen mit Demenz verhalten sich anders, als Menschen ohne. Sie erkennen die Gefahr nicht, schätzen Situationen komplett anders ein. In einem Notfall bedeutet dies für Retter, dass sie sich auf eine andere Situation, auf Unvorhergesehenes einstellen müssen. Dies war auch Ziel dieser Übung der Feuerwehr Riedlingen am Dienstagabend.
Michael Wissussek, Leiter der Tagespflege bei der Seniorengenossenschaft, und Ingo Redolf von der Feuerwehr Riedlingen hatten das Szenario entworfen. Eine brennende Mikrowelle löst den Alarm aus. Pflegedienstleiterin Sabine Eggart setzt den Notruf ab. Eine Patientin ist noch in der Tagespflege, fünf in den Wohnungen im ersten Stock. Zwei davon müssen von dort von der Feuerwehr gerettet werden. Dann heißt es plötzlich, dass eine weitere Person vermisst wird, die ebenfalls wieder gesucht werden muss, während das Gros der Patienten – die von Pflegemitarbeiter gespielt wurden – zum Sammelplatz zwischen Eiscafé und Veil’scher Apotheke gebracht werden.
Vier Minuten nach der Alarmierung ist das erste Feuerwehrfahrzeug da. Ein realistischer Wert, so Stadtbrandmeister Stefan Kuc, der ebenso wie Wissussek den Ablauf beobachtet. Die Feuerwehrmitglieder wussten um die Übung, kannten aber das Szenario nicht. Der Einsatzleiter und sein Assistent versuchen sich so schnell als möglich einen Überblick zu verschaffen und holen Informationen ein. „Das ist die Chaosphase, wie bei jedem Einsatz“, sagt Kuc in der Besprechung hernach. Die sei ganz gut gemeistert worden.
Schnell wird eine Wasserversorgung aufgebaut, die Drehleiter in der Rösslegasse positioniert, Menschen aus dem 1. Stock gerettet. Das ganze wirkt echt, realistisch. Passanten bleiben stehen und fragen: „Was ist denn da los?“, ehe sie mit dem Hinweis „Übung“ beruhigt werden. Doch dann die Besonderheit. Ganz leise, heimlich geht einer der „Patienten“ wieder zurück ins Haus. Von den Feuerwehrkräften nicht beachtet, schleicht er hinter ihrem Rücken von einem Zimmer ins nächste, während sie in der Menschenrettung tätig sind. Es dauert eine Weile, bis der Mann entdeckt und von den Atemschutzträgern nach draußen gebracht werden kann.
Und dies sei realistisch, dass sich Demenzpatienten so verhalten, betont Michael Wissussek hernach: Sie erkennen die Gefahrensituation nicht, können die Situation nicht einschätzen. „Sie wollen einfach nach Hause“, sagt Wissussek. In einem solchen Einsatz mit einem Demenzpatienten könne es auch sein, dass sich der hinter der Tür versteckt oder im Keller, weil sie nicht rational reagieren. Es sei das Ansinnen der Übung gewesen, darauf aufmerksam zu machen.
In der abschließenden Lagebesprechung mit allen 23 Feuerwehrmitgliedern und den Betreuern, weißt auch Kuc nochmals auf die Besonderheit dieser Übung hin. Es sei nicht nur ein besonderes Objekt mitten in der Innenstadt, in räumlich sehr beengten Verhältnissen. Sondern auch mit Menschen, die anders reagieren, als man es im Einsatz sonst gewöhnt ist. Schon lange sei es das Ziel gewesen, eine solche Übung abzuhalten, endlich sei es gelungen.
In der Lagebesprechung wird an Details gefeilt, etwa wie die Drehleiter optimal platziert wird; es wird über die notwendige Zahl der Kräfte und Nachalarmierungen gesprochen. Aber eben auch über den Umgang mit den Patienten. „Wie reagieren die denn, wenn wir mit Atemschutz kommen? Werden die aggressiv?“, fragt einer. Die Frage ist nicht unbegründet, wie Wissussek erläutert. Denn wenn die Retter im Atemschutz kommen, mit den Atemgeräuschen, es vielleicht noch dunkel ist und nur die Leuchtstreifen reflektieren, können die Demenzkranken sehr wohl Angst bekommen. „Die denken, da kommen Marsmenschen.“ Natürlich gelte es, die Menschen so schnell als möglich aus dem Gefahrenbereich zu bekommen. Aber danach muss anders auf die Leute eingegangen werden, um sie beruhigen zu können. Ablenken, auf sie eingehen. In einer solchen Situation wäre ein Demenzlotse richtig, der sollte dann sofort dazu geholt werden, so die Vorstellung von Wissussek. Noch ist es nicht so weit. Aber die Übung war ein erster Schritt. Und ein weiterer Infoabend soll folgen.
Videobeitrag schwaebische.deBericht: Schwäbische Zeitung
Fotos: Thomas Warnack