Großübung B311 im Ertinger Tunnel
28.04.2018
„Brand im Ertinger Tunnel“, so lautete die Meldung der Einsatzleitstelle. Die Ertinger Feuerwehr rückt aus, die Wehren aus dem Umland und auch das DRK werden nachalarmiert. Fast 300 Einsatzkräfte sind letztlich vor Ort, um den Einsatz abzuwickeln und die 25 verletzten Personen zu retten. Und hernach wird Bilanz gezogen, was gut lief und was weniger gut: Denn am Samstag fand zum ersten Mal überhaupt eine Großübung mit diesem Szenario im Ertinger Tunnel statt. Ergebnis: ein Notfallplan für solch ein Szenario soll entwickelt werden.
Gegen 13 Uhr wird der Notfall gemeldet. Die Leitstelle in Biberach alarmiert daraufhin die Feuerwehr und den Helfer vor Ort in Ertingen. Die Rettungskräfte wissen nicht genau, was sie erwartet. Als Erster kommt Alexander Schirmer, als DRK-Helfer vor Ort, am Einsatzort an. Mit seiner Tasche spurtet er in den Tunneltrog hinein, begleitet von den Blicken der etwa 100 Zuschauer, die neben der Fahrbahn außerhalb des Tunnels das Geschehen verfolgen. Kurz darauf trifft der Einsatzleitwagen der Feuerwehr Ertingen ein, der die Schranke auf Höhe der Kulturhalle löst und direkt auf die B 311 in Richtung Trog einbiegt.
Im Tunnel selbst erwartet die Feuerwehrmänner um den Einsatzleiter Rafael Neuburger, der stellvertretende Ertinger Kommandant, ein schlimmes Unfall-Szenario. Fünf Autos sind beteiligt, eines liegt auf der Seite, ein zweites am Ausgang in Richtung Herbertingen brennt. Eine Rauchsäule steigt im Tunnel auf. Zudem klebt ein Bus an einer Tunnelwand. Die Businsassen – geschminkte Komparsen – sind zum Teil schwer verletzt. Blut an den Händen und im Gesicht, Menschen klopfen gegen Scheiben, sind eingeklemmt.
Laute Schreie nach Hilfe gellen durch den Tunnel, der Qualm dringt durch die Röhre. Neuburger muss die Lage erkunden und dann Entscheidungen treffen. Wo werden die Feuerwehrfahrzeuge positioniert? Von welcher Seite sollen die Feuerwehren anrücken? „Diese ersten Entscheidungen stellen die Weichen für den Einsatz“, sagt der stellvertretende Kreisbrandmeister Klaus Merz, davon hängt der weitere Verlauf des Einsatzes ab.
Merz ist einer der Beobachter der Übung. Zusammen mit dem Bezirksbrandmeister Siegfried Hollstein, Kreisbrandmeister Peter Frei und dem DRK-Geschäftsführer Michael Mutschler verfolgt er aufmerksam das Geschehen. Die Polizei ist mit dem neuen Revierleiter Franz Lemli und seinem Stellvertreter Guntram Rößler vor Ort. Und auch Mitarbeiter des Straßenamts und eines Ingenieurbüros aus Stuttgart dokumentiert die Übung im Auftrag des Kreises, um auch technische Sicherheitslücken im Tunnel aufzudecken.
Neuburger hat inzwischen die Lage bewertet und weitere Kräfte nachgefordert. Die Feuerwehren aus Riedlingen und Herbertingen werden am Südeingang positioniert, die Ertinger, Binzwanger und Erisdorfer sind am anderen Tunnelende zu Gange. Auch die ersten Rettungswagen mit Notarzt und Notfallsanitätern sind inzwischen vor Ort. Die positionieren sich vor dem Tunnelportal unter der Führung des Leitenden Notarzts Peter Dietz und des DRK-Organisationsleiters Oliver Luft.
Inzwischen sind die ersten zehn „chaotischen Minuten“ wie die Beobachter sie nennen, vorbei. Der Einsatz ist in mehrere Abschnitte unterteilt, die Atmosphäre ist – trotz des bloßen Übungsszenarios – angespannt und geschäftig. Eine Gruppe an Feuerwehrkräften löscht das brennende Auto, eine andere versucht eine eingeklemmte Person aus dem Auto zu befreien. Weitere Feuerwehrkräfte dringen mit Leitern durch die geborstenen Scheiben in den Bus ein, um die Verletzten zu sichten und diese aus dem Bus zu holen.
Mit Tragen werden die Schwerverletzten von den Feuerwehrkräften zum Tunneleingang gebracht, wo sie vom Rettungsdienst in Empfang genommen werden und versorgt werden. Die Schwerstverletzten werden sofort in den Rettungswagen verladen und in die Klinik gefahren, erläutert Michael Mutschler. Die Schwerverletzten werden vor Ort versorgt. Die Leichtverletzten, die noch selbst gehen können, werden zum Tunnelausgang zum ersten Sammelplatz begleitet. Doch hier gibt es erste Kritik aus den Reihen der Beobachter. Warum sind die Rettungsfahrzeuge des DRK nicht längst in den Tunnel gefahren? Denn die Gefahrenlage ist gebannt. „Die hätte man die Strategie längst ändern müssen“, heißt es aus der Gruppe der Beobachter.
Solche Erkenntnisse zu gewinnen ist ein Ziel dieser Großübung, die seit Herbst des vergangenen Jahres vorbereitet wird. Es ist die erste Übung in diesem Tunnel seit dessen Bau. Und weil das Kreis seit 2005 für diesen Ertinger Trog zuständig ist, wurde sie vom „Tunnelmanager“ Michael Benkendorf vom Straßenamt vorbereitet. Zusammen mit dem Ertinger Kommandant Ulrich Ocker, dessen Riedlinger Pendant Stefan Kuc sowie Klaus Merz wurde dieses Szenario eines Busunfalls entwickelt, der durchaus der Realität entsprechen könne, wie Landrat Dr. Heiko Schmid beim Abschlusstreffen sagt. Dafür will man gewappnet sein. An der Ertinger Halle hat sich derweil der Führungsstab mit Feuerwehrfahrzeugen aus Bad Buchau und Erolzheim etabliert. Dort laufen Fäden und Informationen zusammen. Rund 30 Meter entfernt steht das Einsatzfahrzeug des DRK – auch das ist ein Punkt, der den Beobachtern auffällt. Üblicherweise wird versucht, eine „Wagenburg“ der Einsatzführungen zu bilden, um schnell die Informationen austauschen zu können, wie Mutschler erläutert.
An der Kulturhalle haben sich auch die Schnelleinsatzgruppen (SEG) des DRK angesiedelt. Vor der Halle ist der Sammelplatz für die Verletzten. Auch hier stechen die realistisch geschminkten Verletzten-Darsteller ins Auge. Eine Person hat sich den Bauch an einer Scheibe aufgeschlitzt und blutet, eine andere hat schwere Kopfverletzungen. Ein junger Mann hat den Unterarm verloren. Als die vielen Verletzten auf einmal gebracht werden, ist das Geschehen etwas chaotisch. Doch auch das löst sich wieder auf. Die schwerer Verletzten werden draußen versorgt, für die Leichtverletzten sind in der Halle Feldbetten aufgebaut. Mutschler weist in seinem ersten Fazit für das DRK noch auf die Besonderheit eines Großeinsatzes hin: Ist der Rettungsdienst üblicherweise auf die individuelle Arbeit fokussiert ist, müsse bei Großeinsätzen zunächst die Lage gesichtet werden, bevor einzelnen Verletzten geholfen werden kann.
Gegen 14.30 Uhr ist der Einsatz weitgehend abgeschlossen. Eine erste Besprechung und Feedbackrunde der Verantwortlichen mit den Einsatzkräften findet statt. „Alles in allem haben wir die Leute rausbekommen, Ziel erreicht“, sagte Hollstein. Die einzelnen Bereiche haben gut gearbeitet, „euer Handwerk könnt ihr“, führt der Bezirksbrandmeister fort. Doch, das sind sich alle einig, die Kommunikation zwischen Rettungskräften und Feuerwehr, müssen noch verbessert werden. „So ein Einsatz steht und fällt mit Absprachen“, sagt Hollstein. Er regt einen Notfallplan für solch ein Szenario an, so dass bei einem Brand im Tunnel alle Kräfte wissen was zu tun ist. Beim gemeinsamen Abschluss mit den rund 300 Beteiligten von Feuerwehr, Rettungsdienst, DRK, dem Straßenamt und der Polizei, danken der Landrat, Ertingens Bürgermeister Jürgen Köhler und die Verantwortlichen den vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Einsatzkräften für ihr Tun. Und sie lassen durchklingen, dass die nächste Übung sicher keine 18 Jahre auf sich warten lässt.
Bericht: Schwäbische Zeitung / Bruno Jungwirth
Video Schwäbische/Regio-TV